Gruselgeschichte: Kreaturen aus der Gruft

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An Halloween passieren die merkwürdigsten Dinge, doch für Carolina und Sabine war das kein Grund an Gruselgeschichten zu glauben. Über Geister mussten sie lachen, beim Thema Werwölfe und Zombies verdrehten sie ihre Augen und Hexen waren eher cool als unheimlich. Die beiden Elfjährigen Mädchen machten sich einen Spaß daraus, andere zu erschrecken und nahmen den 31. Oktober als Anlass, um Horror-Filme zu schauen oder mit grausigen Masken durch die Gegend zu rennen. Echte Schauer der Angst waren ihnen fremd. Heute sollte jedoch alles anders verlaufen.

Um einigen Mitschülern einen Streich zu spielen, verabredetet sich alle am frühen Abend vor dem städtischen Friedhofstor. Es war noch nicht ganz dunkel, doch hinter großen Stahltoren sorgten rote Kerzen und Steingräber für die nötige Atmosphäre. Carolina und Sabrina lotsten eine Gruppe von Freundinnen direkt vor das Tor. Kurz darauf erhielt die Gruppe eine SMS, sie sollten doch in die Mitte des Friedhof-Parks gehen. Erste Anzeichen von Frost waren deutlich spürbar. Regen tropfte von kahlen Bäumen, nur noch hallendes Gelächter und Skelette mit leuchteten Augen hätten gefehlt, um die Stimmung zu komplettieren.

Etwas mulmig zumute war es den Mädchen schon, als das alte Tor knarzend hinter ihnen schloss und sie Minuten lang durch die matschige Anlage zum neuen Treffpunkt schlenderten. Noch bevor sie das Ziel, eine Steinstatue mit Kreuz, erreichten, sprangen zwei brüllende Monster hervor. Alle kreischten kurz auf, doch es war ihnen schnell klar, dass Sabine und Carolina hinter den Grusel-Masken steckten. So zogen sich die beiden ihre gehörnten Dämonen-Fratzen aus Latex vom Gesicht und gackerten wild herum, während sie spöttisch auf die anderen zeigten, die ebenfalls ein wenig kichern mussten.

Auf einmal wurde es stockfinster. Alle Grablampen erloschen und ein eisiger Wind zog beißend durch ihre Gesichter. Die Straße war weit entfernt und hinter Bäumen und Hecken verborgen, sodass Laternen oder Autolichter keine Chance hatten, die plötzliche Stimmung zu erhellen. Sie waren auf sich alleine gestellt und konnten kaum die Hand vor ihren Augen erkennen, während sie versuchten, die Umrisse des Weges auszumachen. Glücklicherweise hatte Sabine ihr Smartphone griffbereit in der Jacke stecken. Zeitgleich zur aufkeimenden Hoffnung eine Taschenlampe-Alternative gefunden zu haben, versiegte der Akku und ihr Bildschirm wurde schwarz. So sehr sie auch drückte und tippte, nichts passierte. Den anderen Mädchen erging es nicht anders – auch ihre Handys gingen eines nach dem anderen aus. Also fassten sie den Entschluss, ohne Licht den Friedhof zu durchqueren.

Es mutete wie eine halbe Ewigkeit an und irgendwie wollte der Pfad kein Ende nehmen. Sollten sie falsch abgebogen sein? Immerhin hörte der Wind auf, es war still und die Mädchen flüsterten sich gegenseitig Mut zu. Nun standen sie am Rande einer Lichtung. Der wolkenverhangene Himmel zog ruckartig auf und gab den Mond preis, der auf einen moosbedeckten Steinhaufen schien und eine Art Grab präsentierte. Anders als die Gräber, die sie zuvor gesehen hatten, strahlte es eine besondere Faszination aus. „Das ist nur eine Gruft“, behauptete Carolina und winkte spöttisch ab, als gäbe es hier nichts zu sehen. „Dort werden mehrere Särge von Verstorbenen gelagert, aber der hier hat bestimmt schon bessere Zeiten gesehen“, erklärte sie, während alle Augen sich auf die Richtung eines knackenden Geräusches fokussierten, das gleichzeitig erklang. Dort auf dem maroden Steinblock zwischen Unkraut und Mondschatten hockte ein Tier und fraß scheinbar ungestört sein Abendessen. „Ist das ein Kaninchen?“, fragte ein Mädchen aus der Gruppe und musste, noch während sie sprach, ihren Satz mit einem Schrei unterbrechen. Ruckartig drehte das Tier seinen Kopf. Glühende, grüne Augen blinkten grell. Ein aschfahles Männlein, kaum größer als ein Nagetier kauerte mit knochigem und Dornen übersätem Körper über seiner Mahlzeit und fauchte sie mit spitzen Zähnen fletschend an.

Niemals zuvor hatten sie etwas Erschreckenderes gesehen und rannten fluchtartig davon. Noch während sie liefen, stolperten sie übereinander und wurden von einer Person mit Lampe ertappt. „Ihr seht aus, als hättet ihr den Teufel persönlich gesehen“, lachte eine tiefe, alte Stimme zu ihnen. „Ich glaube, ihr solltet Halloween nicht auf einem Friedhof verbringen.“ „Friedhofswärter“ stand auf seinem Namensschild geschrieben. Der dickliche Mann begleitete sie fürsorglich zum Ausgang. Quietschend schloss sich das Tor hinter ihnen, während sie unter dem hellen Schein der Straßenlaterne standen. Noch zitternd vor Angst redeten alle durcheinander, aber waren froh, endlich draußen zu sein. „Auf diesen Friedhof gehe ich nie wieder“, protestierte Anna, ein Mädchen aus der Gruppe. „Ich glaube das werden wir so schnell auch nicht mehr können“, sagte Sabine und deutete auf ein Schild an der Mauer. Dort stand geschrieben: „Städtischer Friedhof, geschlossen aufgrund von Renovierungsarbeiten. Stand 1950“. Als sie ein weiteres Mal durch die Gitterstäbe spähten, erkannten sie ein wüstes Feld verlassener Ruinen, Bauschutt und Unrat, aber nichts, was so aussah wie der Ort, den sie noch eben durchquerten. Was war nur passiert?

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Daniel
Daniel
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