Anregungen zur Kommunikation mit Kindern in Krisenzeiten
Der russische Überfall auf die Ukraine ist gegenwärtig das zentrale Thema der Medien und der öffentlichen Diskussion. Das Internet ist voller Meldungen, Kommentaren, Erzählungen und Gegenerzählungen, Bildern und Videos darüber und es ist unmöglich, Kinder vor dieser Wort- und Bilderflut soweit zu behüten, dass sie nicht damit belastet würden.
Ebenso ist es für Erwachsene schwer, ob des Ausmaßes dieser militärischen Eskalation eine Quintessenz zu formulieren, die Leitmotiv betreuender Kommunikation mit Kindern über ihre Ängste und Sorgen dienen könnte.
Dieser Artikel ist nicht aus dem Anspruch heraus entstanden, euch Musterlösungen anzubieten, die allen emotionalen Anforderungen betreuender, kindgerechter Krisenkommunikation gerecht würden.
Auch habt ihr Jugendleiter*innen individuelle Bedürfnisse und individuelle Grenzen, in welchem Maße ihr euch auf die Schrecken von Kriegen und anderen Katastrophen einlassen wollt. Teilweises Ausblenden des Grauens sollte nicht als Verdrängung gesehen werden, sondern ist individuelle Entscheidung und gelebte geistige und emotionale Freiheit.
Es lassen sich aber die Bedürfnisse von Kindern erwachsenen Ansprechpartner*innen gegenüber abschätzen und daraus Konzepte entwickeln. Dies soll im Folgenden versucht werden.
Das Gefühl vermitteln, nicht allein zu sein
Abseits von Krisen und Katastrophen geschichtlicher Dimension haben Kinder und Jugendliche eine Vielzahl von Ängsten zu bewältigen: soziale Ängste, Trennungsängste in Bezug auf die Eltern, Angst vor Schulversagen. Der Klimawandel und nicht zuletzt die Covid-19-Pandemie sind in Alltag und Bewusstsein von Kindern allgegenwärtig. Schließungen von Schulen und Sporteinrichtungen bewirkten soziale Isolation von Kindern und Jugendlichen.
Gespräche in der Gruppe sind geeignet, um das gute Gefühl zu vermitteln, mit den Ängsten nicht allein zu sein – ein wichtiger Baustein zur Angstbewältigung. Zeiten, in denen Ängste kategorisch verdrängt wurden, sind – zum Glück! – lange vorbei, niemand wird heute Ängste von Kindern pauschal abtun.
Im Gegensatz zu Erwachsenen haben Kinder noch keine Mechanismen zur Angstbewältigung entwickelt, sondern sind hierfür noch auf Vorbilder angewiesen. Im Gegenzug profitieren Erwachsene, wenn sie ihre Ängste im Gespräch mit Kindern verbalisieren und einordnen.
Somit ist eine grundlegende Gemeinsamkeit zwischen euch Jugendleiter*innen und den Kindern in eurer Betreuung gegeben und es wird sich gegenseitiges Verständnis und Vertrauen einstellen, wenn ihr offen über eure gemeinsamen Ängste miteinander redet.
Kinder brauchen – wie Erwachsene – Ermutigung, um sich zu öffnen. Es kann sich als sinnvoll erweisen, freies Malen oder Spiele rund um die aktuelle Nachrichtenlage zum Anlass zu nehmen, um Blockaden und Schüchternheit zu überwinden und ohne zu insistieren ein Gruppengespräch zu beginnen.
Insgesamt qualifiziert ihr euch damit als kompetente Ansprechpartner*innen und stärkt in Gruppengesprächen das Gemeinschaftsgefühl.
Hilfreich ist für euch Jugendleiter*innen, über die Fakten und über Kampagnen zur Desinformation gut informiert und auf Rückfragen vorbereitet zu sein.
Ereignisse auf Distanz bringen
Meldungen und Bilder werden von Medienunternehmen sowie von Nutzer*innen sozialer Netzwerke verbreitet. Es geht nicht allein um Information, sondern um politische und wirtschaftliche Kalküle, um Quote und Reichweite. Schockeffekte werden eingesetzt, schockierende Bilder. Simple, positiv belegte Textmeldungen wie “Bürger*innen in Nachbarländern kümmern sich um Geflüchtete” oder “Menschen aus Seenot gerettet” erhielten weniger Aufmerksamkeit als das Bild eines brennenden Panzers oder von der Wasserwand eines Tsunamis, der auf eine Küste trifft.
Die Präsenz der Schockbilder ist nicht proportional zur Zahl der Ereignisse und Kinder sind für Bilder noch empfänglicher als Erwachsene, damit prägt jene Überrepräsentation die Gesamtschau des Kindes auf die Welt.
Kinder können und werden sich – wie Erwachsene – beim Anblick eines brennenden Panzers fragen, wie es den Menschen in dem Panzer ergeht oder wie es ist, von einer turmhohen Flutwelle erfasst zu werden und sich jenes – sei es gewollt oder ungewollt – vorstellen.
Es ist keine Verharmlosung humanitärer Tragödien, wenn ihr mit einem Kind besprecht, dass weder das Kind selbst, noch Eltern oder Freund*innen voraussichtlich jemals in Panzern sitzen werden oder dass Tsunamis in der Nordsee unwahrscheinlich sind. Womit nicht angedeutet werden soll, dass es leicht wäre, solche Themen kindgerecht aufzubereiten.
Zeit managen
Krisenberichterstattung und Diskurs sollten nicht den Tag bestimmen wenn der Grund des Zusammenseins ein anderer ist.
Medien, insbesondere soziale Medien, setzen aber auf Verweilen des Publikums mit ihrem Informationsangebot, Nutzer*in soll nicht den Blick davon lassen können. Nicht ohne Grund hat “Internetsucht” Eingang in den Duden gefunden.
Hier greift wieder der Gedanke, dass Ausblenden legitim, wenn nicht gar geboten ist. Somit könnt ihr Kinder dahingehend beruhigen, dass es in Ordnung ist, wenn sie von den Gräueln von Kriegen und Katastrophen und der Berichterstattung darüber in den Medien loslassen und sich so beschäftigen, dass es sie nicht belastet und ihnen Freude bereitet.
Zum Weiterlesen
“Die kindliche Entwicklung” von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
“Wie man Kindern aus der Angst helfen kann” bei eltern-bildung.at, einer Initiative des Österreichischen Bundeskanzleramts: