Jeden Sommer fahre ich mit 150 Kindern und Jugendlichen im Alter von 6 bis 16 ins Zeltlager. In diesem Jahr ist etwas besonderes passiert: zum absoluten Highlight der zwei Wochen haben die Kinder am letzten Abend die Lagerzeitung gewählt, noch vor dem Ausflug in den Hansapark und der Schwarzlicht-Disco.
Moment mal. Die Lagerzeitung? Was langweilig klingt, hat in den zwei Wochen eine ganz eigene Dynamik angenommen. Hier erkläre ich, was genau wir gemacht haben – und was wir nächstes Mal vielleicht anders machen würden.
Kurz vorweg aber die Eckdaten: Dieses Jahr waren wir 153 Kinder im Alter von und 30 Betreuer:innen im Zeltlager. Wir fahren immer an den gleichen Ort, ein Naturschutzgebiet in Schleswig-Holstein, mittlerweile seit 64 Jahren. Und jedes Jahr überlegen wir uns: Wir könnten wir den Aufenthalt für die Teilnehmer:innen noch spannender machen? Viele Kinder fahren immer wieder mit, das Programm soll nicht jedes Jahr genau gleich sein.
Immer mit dabei sind die Klassiker: Stockbrot am Lagerfeuer, Nachtwanderung, Disco, Kanufahren, Fußballturnier, Arschbombencontest. Aber auch große Spiele, bei denen alle 153 gleichzeitig unterwegs sind: Waldrallye, Schnitzeljagd, Chaosspiel, Betreuer-Marterung.
Interessieren sich Kinder für gedruckte Zeitungen?
Dieses Jahr haben wir uns wieder etwas Neues ausgedacht: eine Lagerzeitung. Wobei – neu ist die Idee nicht. Eine Lagerzeitung hatten wir schon oft. Vor 50 Jahren gab es auch schon eine. Dieses Mal aber sollte sie anders sein: im Layout einer richtigen Tageszeitung, mit einer festen Redaktion (bestehend aus Betreuer:innen) und mit allen wichtigen News, Gerüchten und Hintergründen zu unserer eigenen kleinen Welt. Außerdem sollte es Spaß machen, sie zu lesen. Eine gesunde Portion Humor durfte also nicht fehlen. Wir hatten keine Ahnung, ob die Kinder sich für die Zeitung interessieren würden. Kinder und Jugendliche sind nicht gerade dafür bekannt, dass sie sich euphorisch auf Print-Zeitungen werfen.
In der ersten Nacht schrieben wir die erste Ausgabe und fragten uns: Wohin damit? Wo lesen die Kinder die Zeitung am ehesten? Einfach aufhängen im Essenszelt? Eine Ausgabe drucken für jedes Zelt, damit sie gemeinsam lesen können? Wir hatten eine andere Idee: Wir hingen sie dort auf, wo alle früher oder später mal hin müssen, auf den Toiletten. Jede Toilettentür bekam täglich eine Ausgabe, sodass man sie lesen konnte, wenn man auf dem Klo sitzt.
Schnell war klar: Die Zeitung kommt an. Wir Betreuer:innen wurden tagsüber von den Kindern auf die Artikel in der Zeitung angesprochen. Nachts trafen wir Kinder, die extra um 24 Uhr auf Toilette gingen, um die neueste Ausgabe zu lesen.
Als wir eine Ausgabe verpassten, weil wir Betreuer:innen abends keine Zeit mehr hatten, fragten uns die Kinder, was das soll. Bei der Waldrallye fragten wir bei einem Quiz ab, welche Themen in der Lagerzeitung schon vorkamen. Die Kinder konnten nicht nur die Themen nennen, sondern auch wortgenau die Überschriften der Artikel.
Am letzten Abend, beim großen Lagerfeuer, kürt das älteste Mädchenzelt traditionell die Betreuer:innen des Jahres: Wer hatte sein Zelt im Griff – wer eher nicht? Dafür lassen sie die Zelte abstimmen und lüften das Ranking erst am Ende der Lagerzeit. Dieses Jahr wurde auch abgefragt, was für die Kinder das Highlight der zwei Wochen war. Auf Platz 1: die Lagerzeitung.
Warum war die Lagerzeitung das Highlight der zwei Wochen?
Ich glaube, die Antwort liegt darin, worüber wir berichtet haben. Wir berichteten über das Fußballspiel der Kinder gegen die Betreuer:innen . Wir machten große Boulevard-Geschichten über die angebliche Liebesbeziehung zwischen zwei Betreuer:innen, wir gaben Veranstaltungstipps. In der News-Sammlung berichteten wir über Insider, die man wahrscheinlich nur witzig findet, wenn man mit dabei war. Als am nächsten Tag die großen Bergfest-Spiele anstanden, haben wir einen großen Vorbericht – passend zur Geschichte, die sich die Betreuer:innen für diese Spiele ausgedacht hatten – veröffentlicht.
Als die 13-jährige Greta den Biathlon gewonnen hat, erschien am nächsten Tag ein großes Interview mit ihr über ihr Erfolgsgeheimnis. Bei jeder Ausgabe haben wir die Wetteraussichten für den nächsten Tag gedruckt. Und wie oben schon gesagt, sollte auch der Humor nicht zu kurz kommen: Als die ersten Nachtwanderungen stattgefunden hatten, zeigten wir folgende Bilder.
Kurz: Wir haben über das berichtet, was die Kids jeden Tag erlebt haben. Über ihre Welt, ihre Realität, zumindest in diesen zwei Wochen.
Wie genau wir die Zeitung erstellt haben
Das wichtigste Learning nach den zwei Wochen war: So eine Zeitung zu erstellen, ist aufwendig. Unter Zeitungsteam bestand aus drei Betreuer:innen, inklusive mir. Ich arbeite seit Jahren als Journalist, für mich ist Schreiben Alltag. Wer normalerweise nicht schreibt, braucht wahrscheinlich noch ein größeres Team.
Einige Artikel hatten wir schon vor der Abfahrt ins Zeltlager vorbereitet. Über alle neuen Betreuer:innen haben wir ein kurzes Porträt erstellt, mit Foto, ihren Hobbys, und warum sie das Zeltlager so lieben. Auch Vorberichte zu Veranstaltungen, die schon lange feststehen und fest eingeplant sind (wie die Schwarzlicht-Disco) haben wir noch Zuhause geschrieben. Das spart die wertvolle Energie im Zeltlager.
Während der Lagerzeit selbst haben wir uns jeden Abend, wenn die Kinder im Bett waren, zusammengesetzt und die neue Ausgabe besprochen und geschrieben. Wir haben uns von unserer Zeltlager-Fotografin (eine Betreuerin, die darin einfach großes Talent hat) die besten Fotos des Tages schicken lassen.
Unser Ziel war es, jeden Tag mindestens eine DINA4-Seite zu füllen. Leider gibt es keine richtig gute Vorlage für so eine Seite, deshalb haben wir eine Canva-Vorlage benutzt und diese jeden Tag angepasst. Das war ziemlich kleinteilige Arbeit, aber sie hat sich gelohnt. Wenn es besondere Veranstaltungen gab (wie die Disco oder den Ausflug in den Hansapark), haben wir auch mal eine komplette Seite zusätzlich nur mit den besten Fotos gedruckt.
Am letzten Tag des Zeltlagers haben wir alle Ausgaben zu einer finalen Zeitung im DINA5-Format inklusive neuem Deckblatt zusammengefasst und für jedes Kind eine Zeitung gedruckt (Achtung: Entweder bei einem Copy-Shop in Auftrag geben oder an ausreichend Drucker-Patronen denken!). Auf der Rückfahrt haben dann alle Kinder im Bus ihre eigene Druckausgabe als Erinnerungsstück bekommen.
Was wir nächstes Mal anders machen würden
Ein paar Dinge würden wir in diesem Sommer anders machen. Wir würden versuchen, noch mehr Artikel bereits vor der Lagerzeit zu schreiben. Zeitlose Porträts über Betreuer:innen und Vorberichte über Events kann man gut vorbereiten. Das hilft, wenn man Abends mal keine Zeit hat, neue Artikel zu schreiben.
Wir werden außerdem versuchen, die Kinder mehr einzubeziehen. Sowohl in die Erstellung der Zeitung, als auch in die Inhalte. Wir haben zwar noch nicht beschlossen, wie genau das aussehen soll, aber möglich wäre es, vom Beginn an auch Kinder mit in die Redaktion aufzunehmen und diese selbst Interviews führen und Artikel schreiben zu lassen. Natürlich sollten Kinder sich dafür nicht festlegen müssen: Wenn ein Kind spontan Lust hat einen Artikel zu schreiben, sollte es den Raum dafür bekommen, auch wenn es nicht Teil des festen Redaktionsteams ist.
Wir könnten außerdem einen Briefkasten der Redaktion aufhängen, in den die Kinder Vorschläge einschmeißen können, worüber wir berichten sollten. So können wir verhindern, dass wir nur aus Betreuer-Sicht berichten. Dass wir die Zeitung auch nächstes Jahr wieder machen, steht aber bereits fest. Zu groß war die Begeisterung der Kinder.